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Es war einer der dramatischsten Momente der WM, der viele Fans verwirrte. In Minute 120 des Viertelfinales gegen Costa Rica wurde Holland-Torhüter Jasper Cillessen für den dritten Ersatzmann Tim Krul ausgewechselt. Dieser hielt tatsächlich 2 Elfmeter und brachte Holland so bis ins Halbfinale.

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Wolfram Klug: Sportbusinesstechnologe ​​und CEO von DIGITAL SPORT / Seedion

Viele bewunderten den Mut von Bondscoach Louis van Gaal. Aber bei näherer Betrachtung war dies auch eines der herausragenden Beispiele dafür, wie eng Technologie und Psychologie im modernen Sport heute miteinander verbunden sind.

Obwohl manch einer eine „Mechanisierung“ des Sports befürchtet, zeigte das Drama des Viertelfinales, dass gerade das Gegenteil wahr ist. Es wurde hier deutlich, dass das Wissen über die Technologie des Gegners für den Erfolg mindestens so wichtig sein kann wie die eigene technologische Ausstattung.

 

Der Krul-Effekt

Nach dem Sieg erklärte van Gaal, dass Krul einfach der bessere Torhüter beim Elfmeterschießen sei. Tatsächlich zeigen die Daten, dass er vor dieser Nacht nur zwei der vorangegangenen 20 Elfmeter halten konnte. Dies sind wahrlich nicht die Leistungsdaten eines Spezialisten. Der zweite Torhüter im niederländischen Kader, Michael Vorm, hatte eine bessere Bilanz als Krul (drei von 11 gehaltenen Elfmetern vor der WM).

Warum wagte van Gaal es also, der augenscheinlichen Logik der Zahlen zu trotzen? Er verriet, dass Krul vor dem Spiel alle Schützen von Costa Rica studiert hatte –  eine Standard-Vorbereitung und nichts, was Cillessen (oder Vorm) schwergefallen wäre. Auch Krul erklärte, dass seine eigene Videovorbereitung der Schlüssel zum Sieg war. Und doch zeigt die Forschung, dass das Studium der Elfmeterschützen statistisch unbedeutend für das Ergebnis ist.

Eine Studie des University College London über das Torhüterverhalten belegt, dass diese – nachdem ein paar Schüsse in eine Richtung gegangen sind – in der Mehrzahl  annehmen, dass der nächste Spieler die andere Ecke bevorzugen wird (obwohl statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit unabhängig von der vorangegangenen Eckenwahl natürlich ausgeglichen ist).

Durch die Beobachtung eines Torhüters lässt sich im Laufe der Zeit ein Muster identifizieren, ob dieser dazu neigt, früh eine Seite zu raten oder länger zu warten, um die Schussrichtung zu erkennen. Damit lassen sich  bestimmte Schwächen oder Gewohnheiten ausmachen. So erklärte der costa-ricanische Manager Jose Pinto nach dem Sieg im vorangegangenen Elfmeterschießen gegen Griechenland: „Wir hatten die Gegner (Torhüter) studiert und deshalb haben wir 100% erzielt.“

Videoanalyse ist heutzutage eine etablierte und leicht verfügbare Technologie. Nach dem Statement von Pinot gegenüber den Medien nach dem Sieg gegen Griechenland wusste van Gaal demnach, dass die Costa-Ricaner Cillessen studiert hatten und sich deshalb seiner Schwächen bewusst waren. Er wusste auch, dass es unwahrscheinlich war, dass sie den niederländischen dritten Torhüter Krul studiert hatten und dessen offensichtlichen Stärken oder Schwächen kannten.

Es war van Gaals Verständnis für die technologiegestützten Vorbereitungen seines Gegners, die die praktische und psychologische Erklärung für seine letzte Auswechslung lieferte. „Das Gesicht ihres Managers, als er mich sah, war unbezahlbar. Es hatte definitiv einen Einfluss“, sagte Krul über seine Einwechslung. Glück spielte natürlich wie immer eine große Rolle, aber entscheidend waren die großen Reaktionen Kruls in Kombination mit van Gaals Verwirrung stiftender Maßnahme.

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Dem Spiel voraus

Anstatt Sport lediglich vorhersagbarer zu machen, schafft die Weiterentwicklung von Technologie eine neue Chance für psychologische Spiele und Dramatik. Tracking-Systeme für Fußball, Rugby, Basketball, Eishockey und andere professionelle Sportarten haben dazu geführt, dass Teams ihre eigenen Stärken und Schwächen durch Daten besser verstehen. Aber noch entscheidender ist, wenn Teams um den Technologieeinsatz ihrer Gegner wissen. Hierdurch lassen sich wahrscheinliche Match-Taktiken besser vorhersagen und dementsprechend berücksichtigen. Die taktischen Permutationen werden exponentiell wachsen, ebenso wie machiavellistischen Spielwechsel und das große Drama, das wir so lieben.

Professor Jem Bendell vom Institut for Leadership and Sustainability an der University of Cumbria erklärt: „Ob in Sport, Krieg oder Marktwettbewerb, die Kenntnis der Annahmen und Routinen eines Gegners kann genauso wichtig sein wie die eigenen Fähigkeiten. Die Übernahme neuer Technologien kann unsere Hypothesen herausfordern und Routinen ändern. Es können aber auch neue entwickelt sowie Schwachstellen eines klugen Gegners aufgedeckt werden. Daher kann die Kenntnis der Technologien des Gegners so wichtig sein wie die eigene.“

Deshalb ist es für professionelle Sport-Teams überaus wichtig, neben der Optimierung der eigenen Technik zu überwachen, was Ihre Gegner tun. Die meisten Vereine sind noch nicht soweit. Es ist klar, dass zukünftig der Technologieeinsatz weitaus systematischer, umfassender und konkurrenzorientierter betrieben werden muss, um neue Chancen zu eröffnen.

Die Entwicklung der Technologie im Sport macht den Sport nicht mechanischer, sondern fügt neue Elemente hinzu, bereichert Taktik und steigert die Spannung.

Wolfram Klug ist ein Sportbusinesstechnologe, ehemaliger Business & Technology Direktor beim Internationalen Basketballverband FIBA ​​und CEO von DIGITAL SPORT/Seedion (Beratung von Sport und anderen Organisationen)