Was bleibt, wenn wir uns an die ersten sieben Bundesliga-Spieltage der Saison erinnern? Natürlich das frühe Ende von Carlo Ancelotti beim FC Bayern, die Punktekrise beim 1.FC Köln und was noch? Eine Häufung von Kopfverletzungen. Allein Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach hat es gleich mehrfach erwischt. Ob er wohl weiß, dass er sich in ein unkalkulierbares Risiko begeben hat?
Zum Thema: Risiko Kopfverletzung. Leichte traumatische Kopfverletzungen werden im Fussball immer noch oft unterschätzt. Dabei kann ein Fortführen des Spiels und eine zu frühe Rückkehr auf den Platz schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.
Diese Krankenakte hat mich aufmerksam werden lassen: Am vierten Spieltag wurde Christoph Kramer von Leipzigs Naby Keita übel an der Lippe erwischt. Es sah schlimmer aus als es war, gab er später zu Protokoll. Dennoch wurden Erinnerungen an das WM-Finale gegen Argentinien (1:0 n. V.) von 2014 wieder wach. Hier erhielt Kramer einen Ellenbogenschlag gegen die Schläfe und konnte sich nach dem Match nicht mehr an die halbe Stunde erinnern, die er auf dem Platz stand. Am 5. Spieltag erwischte es dem 26-Jährigen gegen den VFB Stuttgart schon wieder am Kopf. In der 22. Minute prallte Kramer mit Stuttgarts Anastasios Donis zusammen und hatte sich dabei eine Platzwunde an der Stirn zugezogen und blutete aus der Nase. Nach einer rund dreiminütigen Behandlungszeit spielte er mit einem blauen Pflaster auf der Stirn und Watte in der Nase bis zur Pause weiter, ehe er wegen Schwindel und Übelkeit passen musste.
„Er hat eine Schädelprellung und einen Riss der Nasenwurzel. Ich habe ihn direkt nach dem Spiel in der Kabine genäht.“
Teamarzt Stefan Hertl
Wie häufig sind Kopfverletzungen?
Fussball gehört wie Eishockey und Handball zu den Kontaktsportarten, in denen es zu leichten traumatischen Kopfverletzungen kommen kann. Bei der vergangenen Fussball-WM war der Kopf neben dem Oberschenkel die häufigste an die medizinische Abteilung der FIFA gemeldete von einer Verletzung betroffene Körperregion (Junge/Dovrak, 2015). Insgesamt kam es über den Turnierverlauf zu drei Schädelfrakturen und fünf Gehirnerschütterungen, darunter Kramers.
Bei einer Gehirnerschütterung handelt es sich um eine leicht traumatische Kopfverletzung, welche durch eine direkte oder indirekte Krafteinwirkung auf den Kopf verursacht wird. Durch die so ausgelösten komplexen pathophysiologischen Veränderungen kann es zu einer vorübergehenden Störung der Gehirnfunktion kommen (siehe Tab. 1 Beschwerden und Symptome). In etwa 90 Prozent der sportbezogenen Gehirnerschütterung liegt keine Bewusstlosigkeit vor, ein Grund, warum diese häufig nicht erkannt bzw. deren Folgen unterschätzt werden. Dabei ist das Risiko 24 bis 48 Stunden nach einer Gehirnerschütterung für das Auftreten intrakranieller Komplikationen (z.B. Gehirnblutungen) erhöht. Harmon et al. (2013) gehen davon aus, dass nach einer Gehirnerschütterung für einen Zeitraum von etwa sieben bis 14 Tagen von einer gesteigerten Vulnerabilität des Gehirns auszugehen ist. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass ein erneutes Trauma vor dem „Ausheilen“ der Folgen einer ersten Gehirnerschütterung schwerwiegende Konsequenzen haben kann.
Diagnose und Behandlung
Die erfreuliche Nachricht ist, dass bei der Mehrzahl der Gehirnerschütterungen nach etwa sieben bis zehn Tagen Beschwerdefreiheit besteht. Eine Gehirnerschütterung kann somit, muss aber nicht körperliche, psychische und neurokognitive Folgen nach sich ziehen. Hieraus wird deutlich, dass der Prozess der Diagnosestellung und weiteren Behandlungsplan interdisziplinär anzusehen ist. Ist die Diagnose „Gehirnerschütterung“ durch einen Arzt sichergestellt, sollte nach den Handlungsempfehlungen „Leichtes Schädel-Hirn-Trauma im Sport“ (Bundesinstitut für Sportwissenschaft, 2015) frühzeitig eine Neuropsychologe konsultiert werden. Diese sind darauf spezialisiert, neurokognitive, verhaltensbezogene und psychische Veränderungen nach Schädel-Hirn-Verletzungen zu diagnostizieren und zu behandeln (Gänsslen/Schmehl, 2015). Eine neuropsychologische Behandlung nach einer Gehirnerschütterung umfasst in Abhängigkeit des Einzelfalls kognitive Rehabilitationsmaßnahmen, kognitiv- verhaltenstherapeutische Interventionen (z.B. Angstreduktion, Reattributionstechniken bei Missinterpretation körperlicher Beschwerden) und ebenfalls Neurofeedback.
Wissensvermittlung als Prävention
Wie bereits zuvor beschrieben, erfordert eine Behandlung einer Gehirnerschütterung einen interdisziplinären Ansatz. Neben Ärzten, sollten auch Neurologen und/oder Sportpsychologen mit „sport-neuropsychologischer Zusatzausbildung“ (z.B. über die Gesellschaft für Sport-Neuropsychologie) mit zu Rate gezogen werden.
Was können jedoch Sportpsychologen konkret ohne jene Zusatzqualifikation tun, um die Rückkehr des Sportlers aus gesundheitlicher Sicht positiv zu beeinflussen? Meiner Meinung nach ist das die Wissensvermittlung über die korrekte Behandlung einer solchen Verletzung und die Sensibilisierung. Das Beispiel Kramer oder auch Leon Goreztka im Viertelfinalspiel gegen Ajax Amsterdam zeigt, dass gerade im professionellen Bereich häufig fehlendes oder lückenhaftes Wissen über Kopfverletzungen dazu führt, dass diese nicht richtig behandelt werden. So wäre es möglich, den aktuellen diagnostischen und therapeutischen Wissensstand an die Fussballvereine weiterzugeben, etwa über Aufklärungs- und Schulungsmaterialien. Ebenfalls könnte unter motivationalen Gesichtspunkten eine Aufklärung und Sinnhaftigkeit einer neurokognitiven Baseline-Untersuchung bei den Spielern denkbar sein.
Fazit:
Gehirnerschütterungen kommen in Kontaktsportarten relativ häufig vor. Auch im Fussball stellen sie eine nicht zu vernachlässigende Verletzung dar, da körperliche, neurokognitive und psychische Beschwerden resultieren können. Wird eine solche Verletzung nicht richtig erkannt bzw. behandelt, drohen chronische Beschwerden bis hin zum Karriereende. Die Entscheidung, ob ein verletzter Sportler wieder in das Trainings- und Wettkampfgeschehen einsteigt, sollte interdisziplinär (Arzt, Neuropsychologe, Physiotherapeut) erfolgen. Damit dies auch geschieht, könnte der Sportpsychologe im Verein Wissensvermittlung und Sensibilisierungsarbeit betreiben und damit die Gesundheit der Sportler massiv mit beeinflussen.
Literatur:
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