„Höher, schneller, weiter“ gilt als Grundprinzip in den meisten Sportarten. Doch wie soll sich ein Sportler selbst einschätzen, wenn er gar nicht sehen kann, wie hoch, schnell oder weit er gerade ist? Das Sehvermögen macht bei einem gesunden Menschen bis zu 80% der Wahrnehmung aus. Sehbehinderte stehen somit oft vor Herausforderungen, die wir Sehende gar nicht als solche wahrnehmen. Und das nicht nur im Alltag: Die Forderung nach sozialer Inklusion von Behinderten im Sport wird immer lauter, die paralympischen Spiele immer populärer. Das Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen IIS hat mit seiner Expertise in Lokalisierung und Navigation eine Lösung für Sehbehinderte im Laufsport entwickelt. Das Blindtrack-System hilft Sportlern dabei im Stadion zu trainieren, ganz ohne Assistenz.
Gewusst wo!
Blindtrack besteht aus drei Elementen: einem Lokalisierungssystem, einem Sensorgurt und einer Auswertungs- und Assistenzsoftware. Eine präzise Lokalisierung des Sportlers ist dabei elementar. Im ersten Demonstrator erfolgte diese immer mit dem BlackFIR-System aus dem Hause Fraunhofer IIS. Dieses arbeitete mit dem Winkel des Signaleinfalls. Doch bei der Weiterentwicklung der Software namens GamaRay wird ein anderes Prinzip der Positionsbestimmung angewendet: Laufzeitmessung. Die „time of arrival“ (ToA) basiert auf der Zeitmessung des ankommenden Signals an den Antennen. Die Differenz dieser Messungen (time difference of arrival) ergibt dann Rückschlüsse auf die Position des Senders.
Grundsätzlich kann auch jedes andere Lokalisierungssystem zur Positionsbestimmung des Sportlers eingesetzt werden, je nach Nutzungsanspruch. WiSmIt beispielsweise beruht auf Ultra-Breitband Frequenzen, die vom Gegenstand ausgesendet und dann von den Antennen durch ToA zu einer Position ausgewertet werden. IndLoc nutzt dagegen zum Beispiel ein schwaches Magnetfeld zur Lokalisierung. Letztendlich basieren diese Technologien jedoch immer auf den gleichen Prinzipien: Laufzeitmessung, Winkelmessung, Phasenmessung oder Signalstärkemessung. Es könnte also genauso eine andere Basistechnologie als GamaRay für Blindtrack eingesetzt werden. Die meisten Systeme fusionieren sowieso verschiedene Sensoren und kombinieren die Verfahren zur Positionsbestimmung, was letztendlich die Genauigkeit erhöht.
Blindtrack arbeitet aber nicht nur mit der Position des Sportlers. Zusätzlich ist im Sensorgurt Inertialsensorik integriert – so können daraus Bewegungsparameter und Geschwindigkeit bestimmt und dann per WLAN an einen PC mit der Auswertungssoftware gesendet werden. Durch die Sensorfusion im Gurt führt das System den Sportler in seinem zugewiesenen Track oder kann bei Überholmanövern unterstützen und Kollisionen so vermeiden. Das ist allerdings nur durch eine permanente Ortung des Sportlers möglich.
Ausschöpfen technischer und menschlicher Potentiale
Die Evaluierung durch die Auswertungssoftware hat mehrere Vorteile: Es werden nicht nur Kollisionen der Sportler verhindert, sondern dafür auch der optimale Ausweichweg für den Sportler bestimmt. Erkennt das System, dass der Sportler die Richtung ändern oder bremsen muss, vibriert der Gürtel an betreffender Stelle. Die Stärke dieser Vibration variiert dabei entsprechend. So kann der Läufer optimal reagieren und ist nicht mehr auf normalsehende Begleiter angewiesen.
Ein weiterer Vorteil durch die Aufzeichnungen und Auswertungen des Laufs ist eine mögliche Trainingsanalyse. Und dies erfolgt fast ohne Extra-Aufwand, denn die Daten werden ohnehin während des Laufs evaluiert. So kann Blindtrack sehbehinderten Läufern nicht nur ein Stück Lebensqualität und Selbstständigkeit zurückgeben, sondern durch Verwertung der Trainingsdaten sogar noch dabei helfen die Potentiale auszuschöpfen.
Der Sportlerkarriere steht damit auch ohne Sehvermögen nichts mehr im Wege, außer vielleicht der „innere Schweinehund“. Dafür gibt es vom Fraunhofer IIS aber leider (noch) keine Patentlösung.
Wurde das System bereits mit Athleten getestet? Wenn ja, wie ist die Rückmeldung?