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Karl Schwarzenbrunner ist nicht nur Bundestrainer Wissenschaft und Ausbildung beim Deutschen Eishockey-Bund, sondern auch Sprecher im Rahmen der 8. MEDICA MEDICINE + SPORTS CONFERENCE 2020, die in diesem Jahr am 18. und 19. November wieder in Düsseldorf stattfinden wird.

Die Firma Navispace GmbH hat Karl Schwarzenbrunner zu seinem Thema „Leistung und Regeneration im deutschen Eishockey – Neue Wege zur Nutzung von Daten und KI“ im Vorfeld der MEDICA MEDICINE + SPORTS CONFERENCE 2020 interviewt und erfahren, wie er Spielerdaten, Kameradaten und Künstliche Intelligenz zur Prävention von Verletzungen und Regeneration im Leistungssport einsetzt.

Karl Schwarzenbrunner Quelle:DEB

Herr Schwarzenbrunner, sehen Sie einen Wandel in der Sportmedizin durch die Digitalisierung? Und wenn ja, inwieweit?

Karl Schwarzenbrunner: Absolut. Schon die systematische Videoanalyse zu Verletzungsursachen – und damit auch zur Verletzungsprävention in der Zukunft, ist hilfreich, um Mechaniken besser zu verstehen. Sie ist eine Form von digitaler Anwendung. Und es gibt weitere Plattformen, auf denen alle Trainings- und Spielaufzeichnungen für das medizinische Personal ständig und unmittelbar abrufbar sind. Und die Daten, die wir über Wearables und Trackingsysteme erhalten, sind nochmal eine andere Hausnummer.

Sie erheben eine Vielzahl von Daten und nutzen künstliche Intelligenz in der Auswertung. Für Sportmediziner sind insbesondere die Themen Verletzungsprävention, Performance und Regeneration relevant. Im engen Zusammenhang stehen hier „Remove-from-Play“ und „Return-to-Play“ Entscheidungen. Können Sie uns beschreiben, um welche Daten es sich handelt, wie Sie diese auswerten und welche Entscheidungen Sie daraus ableiten?

Schwarzenbrunner: Das ist ein großes Thema und hier könnte man einen ganzen Aufsatz schreiben. Um es kurz zu machen: wir schauen uns immer objektive und subjektive Daten an. Das ist für uns sehr wichtig. Bei den objektiven Daten werden die externen und internen Belastungsdaten erhoben. Als Beispiel: Beschleunigungen, Abbremsungen, Kraft eines Zusammenstoßes in G, Sprints, hochintensive Meter, bei Spielen die Eiszeit, HRV, Live-Puls, etc.
Bei den subjektiven Daten arbeiten wir im Rahmen von REGman und REGmon mit dem KEB-Fragebogen (KEB steht für „Kurzskala Erholung und Beanspruchung“), einer adaptierten BORG-Skala (misst subjektives Belastungsempfinden) für die Trainingsbelastung und explizierter Abfrage von Schlafdauer und Qualität. Das Projekt REGman steht für Regenerationsmanagement im Spitzensport, bei dem Wissenschaftler das aktuelle Wissen zur Diagnostik des Erholungsbedarfs und des Beanspruchungszustands sowie zu Möglichkeiten der Regenerationsförderung gesichtet und maßgeblich erweitert haben. Mit der im Projekt entwickelten IT-Lösung „Regenerationsmanagement durch Athletenmonitoring“ (REGmon), werden individuelle Längsschnittdaten gesammelt, aufbereitet und analysiert. Das Projekt ist in enger Kooperation mit Leistungssportlern, Olympiastützpunkten und verschiedenen Spitzensportverbänden realisiert worden.

Auch die Daten aus der GET-App sind zu nennen bezüglich Referenzwerten für die Entscheidung bei einem Verdacht auf Gehirnerschütterung. Als Beispiel gilt hier die neue Trainerversion der GET-App, die sich gezielt an Trainer und Betreuer im Mannschaftssport, auch und gerade im Breiten- und Jugendsport, richtet. Die Erweiterung erlaubt es erstmals, Baseline-Werte (Ruhewert, der vor der Saison erhoben wird) für ein gesamtes Team zu speichern, um im Notfall sofort darauf zurückgreifen und Veränderungen erkennen zu können. Durch einfach anzuwendende Tests unterstützt diese App Sportler, Trainer, Lehrer, Physiotherapeuten, Betreuer, Lehrer und Eltern bei der Früherkennung von Gehirnerschütterungen im Sport. Innerhalb von wenigen Minuten kann die Möglichkeit einer Gehirnerschütterung ermittelt werden. Ich bin der Meinung, dass nur aus einer Vielzahl von Daten eine Entscheidung getroffen werden kann, ob etwa ein Training abgebrochen werden sollte für einen Spieler, oder, was oft vergessen wird, das Training intensiver gestaltet werden sollte. Das Vertrauen eines Spielers in das Team, das für seine „Wiedereingliederung“ in das Training verantwortlich ist, ist auch ein eminent wichtiger Faktor. Denn nur dann wird er auch „ehrlich“ kommunizieren. Dies ist bei einer Verletzung wie einer Gehirnerschütterung unabdingbar, da Symptome oft nicht objektiv darstellbar sind. Die Auswertung bezüglich des Wiedereinstiegs ins Training oder auch Trainingsintensitäten sowie Regeneration läuft bei uns immer noch über die „natürliche Intelligenz“, also uns Trainern und das medizinische Team, da die Datenlage sehr umfangreich ist und der Faktor Mensch für uns eine große Rolle spielt. Plattformen, die miteinander kommunizieren, schon KI?
Wo wir mit, für mich „echter KI“ (oder besser Maschinenlernen) arbeiten, ist in der Spielanalyse – hier wollen wir mit unserem Trackingsystem mit X/Y-Koordinaten und dem autonomen Kamerasystem, die beide in Innovationsprojekten des BISp umgesetzt wurden, das Spiel in Echtzeit für die Spielanalyse schneiden.

Quelle: Projektdatenbank WISS

Hört sich einfach an, ist es aber nicht, da hier unglaublich viel dranhängt – neben der Spielerkennung der eigenen Spieler, des Gegners und des Pucks müssen auch Parameter etwa für einen „Line Rush“ definiert und eben auch vom System erkannt werden. Hier gibt es noch viel Arbeit, aber es geht in die richtige Richtung. Viele Daten können genutzt werden, um die Form eines (professionellen) Athleten zu bestimmen. Wearables und künstliche Intelligenz helfen uns dabei, sie zu verstehen und sowohl die Leistung als auch die Sicherheit des Sportlers zu optimieren.

Sehen Sie eine bestimmte Sportart hinsichtlich der Nutzung von Daten und KI in Bezug auf Leistung und Regeneration in der Führungsrolle? Was kann der Eishockey-Sport daraus lernen?

Schwarzenbrunner: Fußball ist schon aus monetären Gründen mit Sicherheit vorne, insbesondere was die Datensammlung angeht. Aber auch viele andere Vereine und Verbände sind sehr gut unterwegs – denn Content zu sammeln, ist nicht mehr so schwer, aber Kontext herzustellen ist die große Kunst. Und da gibt es sehr viele engagierte und gute Trainer, Wissenschaftler, etc., die genau dies tun – in allen Sportarten. Lernen können wir also von allen, wichtig ist der regelmäßige Austausch über Innovationen.

Hand aufs Herz. Welche Risiken und Gefahren sehen Sie im Zusammenhang mit der Nutzung von Daten und KI im Leistungssport?

Schwarzenbrunner: Wo Licht ist, ist auch immer Schatten. Für mich ist es eine der größten Gefahren, zu glauben, dass etwas zu wissen gleichzusetzen ist mit Erkenntnis – und den Menschen (mit allen Stärken und Schwächen) aus dem Blick zu verlieren. Was auch immer wieder auftaucht ist, dass ein einzelner Wert als „allesklärend“ beworben wird – diesen einen Wert oder auch den „Gott-Algorithmus“ gibt es (noch) nicht.
Ebenso ist die zu wenig ausgepägte Individualisierung der Metriken beim Sammeln von Daten – für mich – oft fragwürdig. Ein Thema im Leistungssport bei Studien ist auch das kleine n. Wir sammeln zwar eine Unmenge an Daten, aber eben von den immer gleichen Menschen – ob das noch zum Problem bezüglich Aussagekraft wird, werden wir sehen.

Wie kann der Breitensport/Amateursport die neuen Wege mitgehen und erachten Sie dies überhaupt als sinnvoll?

Schwarzenbrunner: Erkenntnisse aus dem Leistungssport werden und sollen auch in den Breitensport/Amateursport „durchsickern“. Technologien werden immer günstiger und können sich damit auch in der Breite durchsetzen. Hier gilt es aber, wie auch im Leistungssport, den Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Hier ist Aufklärung durch die Wissenschaft und auch in der Trainerausbildung ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass die Technologie uns untertan ist und nicht wir Sklave der Technologie werden.

Was erwarten Sie von der 8. MEDICA MEDICINE + SPORTS CONFERENCE 2020?

Schwarzenbrunner: In einem Wort: Austausch. Ich freue mich darauf!

Quelle: Navispace GmbH